Der neue Code of Conduct für digitale Kommunikation

Digitalisierung kann die Versicherungswirtschaft nur dann nach vorne bringen, wenn Ihre Möglichkeiten auch effektiv genutzt werden. Was die digital geführte Kommunikation anbelangt, so haben fehlende Standards einerseits und rechtliche Unsicherheiten bislang verhindert, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die die Digitalisierung bietet. Dies hat die Spitzenverbände der Versicherungsvermittlung (BVK, BDVM, VGA und Votum) auf den Plan gerufen, sich der Sache anzunehmen. Sie haben den Grundstein gelegt für ein Regelwerk der digitalen Kommunikation in der deutschen Versicherungswirtschaft. Ein zehnköpfiges Expertenteam hat gemeinsam mit der Kanzlei EVERS Rechtsanwälte für Vertriebsrecht einen Entwurf erarbeitet, der die nötigen Standards für alle am Kommunikationsprozess Beteiligten setzt, so dass die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation künftig vollständig genutzt werden können.


Ausgangslage

Versicherer, die ein Extranet betreiben, konnten bisher nicht davon ausgehen, dass Vermittlern die dort hinterlegten Erklärungen auch zugehen. Erklärungen, die erst mit Zustellung wirksam werden, müssen und werden daher regelmäßig analog per Post versandt. Dieser Medienbruch schafft nicht nur vermeidbaren Mehraufwand für den Versicherer. Er stellt auch Vermittlerbetriebe vor die Herausforderung, digitale und analoge Posteingänge der Versicherer in derselben Angelegenheit überwachen und bearbeiten zu müssen. Hinzu kommt, dass digitale Erklärungen, die weiterverarbeitet worden sind, darauf abglichen werden müssen, ob sie mit der postalisch zugestellten identisch sind oder abweichen.


Fehlende Standards

Zudem müssen Vermittlerbetriebe verschiedene Postkörbe einer Vielzahl kooperierender Versicherer administrieren. Dabei fehlt es an branchenweiten Standards, in welcher Form digitale Erklärungen zu hinterlegen und mit welchen Informationen Datenpakete zu kennzeichnen sind. Digital hinterlegte Geschäftsvorgänge können bisher nicht erkannt werden, ohne die entsprechenden Dokumente zu öffnen. Wie aufwändig das ist, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Brancheninitiative für Prozessoptimierung (BiPRO) einige Hundert verschiedener Geschäftsvorfälle unterscheidet, von der Kündigung bis hinab zur bloßen Werbung. Es fehlt an einheitlichen Mindestvorgaben für Informationen, die Datenpakte erhalten müssen.


Offene Rechtsfragen

Für viele Rechtsfragen der digitalen Kommunikation gilt bislang, dass diese nicht eindeutig beantwortet sind. So ist zum Beispiel nicht klar, wer das Risiko des Zugangs von elektronischen Willenserklärungen trägt, wenn Intermediäre wie etwa „zeitsprung“ oder „b-tix“ eingesetzt werden, die digitale Postkörbe leeren und deren Inhalte weiterleiten. Ebenso ist nebulös, unter welchen Voraussetzungen Erklärungen zugehen, die ein Versicherer in seinem Extranet oder Webservice hinterlegt und die für Vermittler bestimmt sind. Die bisher ergangene Rechtsprechung lässt sich nicht ohne weiteres zur Lösung fruchtbar machen, weil sie sich nicht damit auseinandersetzen musste, dass Versicherer Extranets oder Webservices betreiben, in denen sie ihre Erklärungen speichern, die jeweils an nutzende Vermittler gerichtet sind. So ist offen, ob eine Erklärung des Versicherers mit der Speicherung im elektronischen Postkorb des von ihm betriebenen Extranets auch dem Vermittler zugehen kann, nur weil der Vermittler dieses nutzt?

Offensichtlich ist der Postkorb eine Empfangsvorrichtung, die im Herrschaftsbereich des Versicherers und nicht etwa des Vermittlers als Adressaten der Erklärung liegt. Deshalb kann es nicht allein ausreichen, dass der Vermittler die Vorrichtung durch die Nutzung als Empfangsvorrichtung widmet. Ob man in der bloßen Nutzung überhaupt eine Widmung sehen darf muss vor allem auch deshalb Zweifel wecken, weil die Nutzung der Not entspringt, die Post sonst nicht digital im Vermittlerbetrieb weiter verarbeiten zu können. Auf der anderen Seite müsste die Erklärung jedenfalls dem Zugriff des Versicherers entzogen sein, um in den Herrschaftsbereich des Vermittlers zu gelangen. Dies zeigt, dass ein Regelwerk erforderlich ist, das klar festlegt, unter welchen Voraussetzungen elektronische Postkörbe im Extranet oder einem Webservice eines Versicherers als Empfangseinrichtung gelten.

Für die Kommunikation zwischen Versicherer und Vermittler muss gewährleistet sein, dass klar und nachvollziehbar ist, ob und wann Erklärungen zugehen, wem sie zuzurechnen sind und vor allem auch, welchen Inhalt sie haben. Ohne eine entsprechende Regelung ist die Versicherungswirtschaft gehindert, Effizienzvorteile und Einsparpotenziale auszuschöpfen, die die digitale Kommunikation ohne Medienbruch bietet. Auch wegen der ungeklärten Rechtsfragen ist ein Regelwerk unumgänglich, das digitale Kommunikation ohne Einbußen an Rechtssicherheit gewährleistet. Eben dies ist eines der Leitmotive für die Entwicklung des Kommunikationskodex.


Aufbau

Aufgebaut ist der Kommunikationskodex wie folgt. Zunächst werden verwendete Begriffe definiert, wie Betreiber, Empfangsvorrichtung, Kommunikationsvorrichtung, Bote, Stellvertreter etc. . Anschließend wird der Anwendungsbereich des Code of Conduct festgelegt. Anschließend formuliert der Verhaltenskodex allgemeine Grundsätze. Dazu gehören etwa die Frage der Zurechnung sowie des Zugangs von digitalen Erklärungen und der in diesem Zusammenhang den Empfangs- und Kommunikationsvorrichtungen beizumessenden Bedeutung. Für die Qualifikation als Empfangs- und Kommunikationsvorrichtung wird einerseits vorgeschrieben, dass bestimmte technische Voraussetzungen erfüllen muss, andererseits muss der Nutzer die Vorrichtung ausdrücklich widmen. Die Nutzung allein reicht nicht aus.


Allgemein gültiger Zugangszeitpunkt

Der Kodex macht auch Schluss mit der Frage, wann nach der Verkehrsanschauung mit dem Zugang einer digitalen Erklärung zu rechnen ist. In seinen allgemeinen Bestimmungen schlägt er einen branchenweiten Zugangszeitpunkt vor: Künftig sollen alle Erklärungen, die bis 12:00 Uhr mittags eines Werktags gespeichert werden, am Werktag der Speicherung zugehen und danach gespeicherte erst am folgenden Werktag. Dabei stellt der Kodex es den Parteien allerdings frei, weitergehende Zugangszeiten zu definieren, so dass bis 24/7 alles möglich ist. Denn die Servicebereitschaft der Marktteilnehmer soll der Kodex keinesfalls einschränken.


Erklärungsformat

Außerdem wird das Format für digitale Erklärungen unter Übernahme der von der DSGVO vorgeschriebenen Kriterien festgelegt.


Sorgfaltspflichten

Der Kommunikationskodex enthält zudem allgemeine Sorgfaltspflichten. Dies sind Pflichten auf der Seite des Absenders und des Empfängers von Willenserklärungen gleichermaßen. Sorgfaltspflichten enthält der Kodex etwa mit Blick auf die vergessene Abholung von Erklärungen aus dem Postkorb, das Abhandenkommen von Erklärungen oder den Eingang unvollständiger oder nicht nachvollziehbarer Erklärungen. So bestimmt er beispielsweise, dass der Absender, der eine Erklärung in seinem Extranet für den Empfänger speichert, den Empfänger mit gesonderter Nachricht an dessen E-Mail-Adresse darauf hinweisen muss, wenn eine gespeicherte Erklärung nach fünf Werktagen nicht abgeholt worden ist. Bestandteil der allgemeinen Bestimmungen sind ferner sonstige Pflichten, etwa betreffend die Abweisung von Erklärungen, die wegen Größenbeschränkung oder Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien nicht akzeptiert werden oder den Einsatz von Kommunikationsintermediären, die Vermittlerpost abholen und zustellen.


Vorankündigungsfristen, Haftung, Anerkennung von Vollmachten

Für die Änderungen von Diensten, wie etwa Kommunikations- oder Empfangsvorrichtungen, schreibt der Kodex Vorankündigungsfristen vor, damit sich Nutzer darauf einstellen können. Schließlich enthält er Regelungen zum Haftungsmaßstab, zum Mitverschulden und zur erleichterten Anerkennung von Vollmachten bei der Vorlage von digitalen Kopien in Schriftform erteilten Originalvollmachten.


Technische Anforderungen

Ein Herzstück des Kodex stellen die darin geregelten technischen Anforderungen für den Betrieb von Empfangsvorrichtungen dar. Nur wenn sie erfüllt werden, ist die objektive Voraussetzung für eine Anerkennung als Empfangsvorrichtung gegeben. So wird etwa das Erfordernis geregelt, dass Erklärungen in einem gesonderten Speicherbereich gegen den unbefugte Zugriffe Dritter zu schützen sind. Darüber hinaus werden Speicherformate, die Mindestdauer der Einsicht, die Gewährleistung unveränderter Wiedergabe gespeicherter Erklärungen sowie der Umstand als Standard definiert, dass eine Erklärung nach der Speicherung dem Zugriff des Absenders entzogen ist. Umgekehrt umfassen die technischen Anforderungen aber auch das Prozedere und die Möglichkeit des Betreibers zur Löschung von Erklärungen nach entsprechenden Vorankündigungsfristen, so dass die Betreiber von Extranets und Webservices nicht mehr gezwungen sind, unendlichen Speicherplatz vorhalten zu müssen.

Ergänzt werden die technischen Anforderungen durch technisch-organisatorische Maßnahmen, die Betreiber von Kommunikations- und Empfangseinrichtung zu treffen haben – einschließlich der zu gewährleistenden technischen Verfügbarkeit. Ebenso enthält der Kodex allgemeine Regeln für den Fall von Funktionsstörungen und Wartungsmaßnahmen, wie etwa auch eine einheitlich formulierte E-Mail-Adresse zur Meldung derselben.


Ausgewogenes Regelwerk

Den Spitzenverbänden ist es gelungen, ein ausgewogenes Regelwerk zu schaffen. Einerseits überfordert dieses keinen der am Kommunikationsprozess Beteiligten. Andererseits schafft es genügend Sicherheit. Vor allem aber lässt es den Beteiligten offen, weitergehenden Services oder Standards zu bieten, in dem nur Mindestanforderungen definiert werden.


Besetzung des Projektteams

Das Projektteam hat ganze Arbeit geleistet, dafür sprach auch schon die hochkarätige Besetzung mit Vertretern und Maklern ebenso wie mit Assekuradeuren und Vertrieben, die mit diesen kooperieren. Außerdem haben die Spitzenverbände verbandsübergreifende Spezialisten aus den Bereichen IT und Vertrieb in die Projektarbeit einbezogen. Um die rechtliche Seite zusätzlich qualitätszusichern, hat sich ein Hochschulprofessor eingebracht.


Ausblick

Der Entwurf des Kodex ist dem GDV zugeleitet worden. Dieser wird ihn mit verschiedenen Teams sowohl von der technischen als auch der rechtlichen Seite diskutieren. Die initiierenden Verbände sind zuversichtlich, den Kommunikationskodex zeitnah mit dem GDV abschließend beraten zu können. Dem Wunsch seiner Initiatoren entsprechend soll der Code of Conduct für digitale Kommunikation ebenso auf der GDV-Seite veröffentlicht werden, wie der Datenschutzkodex und der Verhaltenskodex für den Vertrieb. Die Branche kann darauf hoffen, dass der Verhaltenskodex mit seinen Standards in technischer und rechtlicher Hinsicht bald die Voraussetzungen dafür schaffen wird, dass die Digitalisierung diesen wichtigen nächsten Meilenstein für eine beschleunigte Entwicklung nehmen kann.